Projekt | Klassenstufe | Betreuer des Projektes |
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Zur Zukunft gehört die Erinnerung | Klasse 10a | Geschichtslehrer der 10. Klassen |
Zu Beginn des Schuljahres 2005/2006 bieten die RAA und das Bildungswerk Sachsen den Schülern der 10. Klassen an, an einem geschichtlichen Projekt zu arbeiten.
Da für diese Altersgruppe die DDR – Geschichte schon Vergangenheit ist, wollen viele Jugendliche mehr über die Lebensweise ihrer Eltern im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat erfahren.
Einige Schüler der Klasse 10 bewarben sich für einen Forschungsauftrag. Sie wollten herausfinden, wie die Kirchen in der DDR arbeiteten und welche Schwierigkeiten Christen überwinden mussten.
Schülertheater zeigte, wie Stasispitzel in der Schule, in der Familie und in der Freizeit agierten und bei der Werbung neuer IMs keine Rücksichte nahmen. Es wurde deutlich, dass Opfer kein normales Leben führen konnten und selbst nach dem Fall der Mauer unter den Tätern litten.
Am 26.01.2006 wurden die Forschungsaufträge vom Beauftragten der Bundesstelle für Stasiunterlagen, Herrn Konrad Felber, in einem sehr feierlichen Rahmen im Schloss Hoyerswerda übergeben.
Das Zeitzeugengespräch mit Herrn S. Faust und Herrn Hagen Koch, der 1961 aktiv am Mauerbau beteiligt war, sich später jedoch vom System distanzierte, und der seit der Wende alle Materialien zum Thema "Mauerbau" sammelt, bildete einen ersten Höhepunkt im Projektverlauf.
Durch den Geschichtsunterricht und die Beschäftigung mit vielfältiger Literatur ergaben sich ständig neue Fragen: "Gingen alle zur Jugendweihe?", "Konnte man an der Konfirmation und der Jugendweihe teilnehmen?", "Wer arbeitete für die Stasi?", "Wussten die Menschen über die Methoden der Überwachung Bescheid?". Um die Arbeitsweise der Stasi zu verstehen, besuchten die Schüler am 04.04.2006 den Stasiknast Bautzen II.
In der Zelle sitzend, studierten die 15-16 Jährigen Aktenkopien von ehemaligen Insassen.
Andere Schüler bereiteten einen Rundgang mit Erklärungen durch die Gedenkstätte vor.
Während der anschließenden Präsentation wurden Szenen gespielt, wie eine Begegnung zwischen Tätern und Opfern ablaufen könnte. Den Schülern wurde klar, dass Menschen unterschiedliche Motive hatten, um für die Stasi zu arbeiten. Im Juni wurden die Ergebnisse des Forschungsauftrages vor Vertretern der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, den Sächsischen Landesbeauftragten für Stasiunterlagen der DDR und der Hoyerswerdaer Öffentlichkeit präsentiert.
Am 12.04.2006 nutzte die Projektgruppe die Gelegenheit, um aus erster Hand zu erfahren, wie ein evangelischer Pfarrer in der DDR arbeitete. Dazu hatten sie sich Herrn Pfarrer Wagner eingeladen, der viele Jahre im Erzgebirge Gemeinden leitete. Ihm wurde z. B. unterstellt, dass er den Kindern im Religionsunterricht verboten hatte, das Gedichte "Die Leinweber" zu lernen. Da er außerdem ein Nichtwähler war, wurde er schon Wochen vor der Wahl beobachtet, ob er nicht auch in der Gemeinde dazu aufrief, die Wahllokale zu meiden.
Herr Pfarrer Wagner konnte seine vielen Erlebnisse so lebhaft darstellen, dass die Schüler eine Vorstellung bekamen, wie die Menschen, wenn sie nicht zur Jugendweihe gingen, ausgegrenzt wurden, indem sie nicht die Erweiterte Oberschule besuchen durften. Den Schülern liegen Kopien seiner Stasiakte vor. Außerdem hatte er ein Plakat mitgebracht, auf dem steht, dass er die Bildung in der DDR genossen hatte, aber nicht zur Wahl gehe und damit offensichtlich gegen den Frieden sei.
Mehrere dieser Plakate wurden im Heimatort Bernsbach angebracht. Die erhoffte Wirkung, ein Sinneswandel oder eine Einschüchterung blieben jedoch – Gott sei Dank – aus.
Cornelia Michel
Am 9. Juni des vergangen Jahres war es so weit. Im Hoyerswerdaer Schloss konnten die Schülerinnen und Schüler des Johanneums nach langer Vorbereitungszeit endlich ihre Arbeit im Rahmen des Projekts „Zur Zukunft gehört die Erinnerung“ präsentieren. Sie beschäftigten sich in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Oskar Brüsewitz – ein Störenfried?“. Dabei wurde eine Power Point Präsentation mit einem Rollenspiel verknüpft. Die Schüler zeigten in ihrer Darbietung sehr einfühlsam wichtige Lebensabschnitte des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz auf. Sie wollten erreichen, dass die Zuschauer verstehen, warum sich Pfarrer Brüsewitz am 18. August 1976 auf dem Marktplatz in Zeitz selbst anzündete und dann zu seiner Kirche lief. Weiterhin war es Ziel darauf hinzuweisen, dass er nicht, wie es von der DDR- Führung immer gesagt wurde, verrückt war, sondern dass dies als eine Protestaktion gegen den Staat gedacht war.
Doch die eigentliche Arbeit machen die Schüler neben ihren Haus- und Lernaufgaben nach der Schule. „Wir wählten dieses Thema, weil wir uns mit der Geschichte der Kirche in der DDR auseinander setzten wollten und weil dieses Thema bei allen sofort großes Interesse auslöste“, sagt Martin Münzberg, Leiter des Projektes am Johanneum. Ihm habe diese Arbeit die Geschichte der DDR noch einmal richtig nahe gebracht. „Mir hat sich zum Beispiel das Datum 18. August 1976 ins Gehirn eingebrannt, an diesem Tag hat Oskar Brüsewitz sich auf dem Marktplatz von Zeitz verbrannt“, so Münzberg.
In einem tiefgründigen Quellenstudium befassten sich die Schüler zum Beispiel mit der Reaktion der Presse in der DDR auf die Tat von Brüsewitz. Dabei verglichen Carola, Juliane und Marvin in ihrer Gruppe die Reaktion auf die Tat in der staatstreuen Presse („Neues Deutschland“) mit der Darstellung eines öffentlichen Rundschreibens der evangelischen Kirche. Schon anhand dieser beiden Darstellungen zeigte sich, wie die SED Führung noch nach dem Tode versuchte einen ihr unbequemen Menschen zu verleumden. Im „Neuen Deutschland“ wurden der Beruf, das Leben sowie der Charakter von Brüsewitz herabgewürdigt, seine Verhaltensweisen wurden als „ungewöhnlich, ja anormal und als geisteskrank“ bezeichnet. Ungewöhnlich scharf war die Reaktion der Kirche. Trotz zu befürchtender Repressalien versuchte sie, dem Menschen Brüsewitz gerecht zu werden, obwohl auch in Kirchenkreisen seine Tat durchaus umstritten war. Die Arbeitsgruppe entwickelte eine Tabelle in der sich die Schüler, die sich zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Thema beschäftigen wollen, selbstständig arbeiten können und es ihnen somit recht schnell deutlich wird, in wieweit der DDR Staat mit unbequemen Denkern umgeht und welche Rolle die gleichgeschaltete Presse in der DDR gespielt hat.
Desweiteren entstanden Materialien, wie die Power Point Präsentation zum Thema „Opposition und Widerstand in der DDR“.
Alles wurde zusammengehalten durch das Rollenspiel, in welchem Martin Münzberg als Brüsewitz durch dessen letzte Lebensjahre führte. Dieses zeigte die tiefe Durchdringung des Themas durch die Schüler, ihr schauspielerisches Talent und ihre Bereitschaft sich auch außerschulisch mit historischen Themen zu beschäftigen. „Wir hoffen, dass auch die nächsten 10. Klassen der Hoyerswerdaer Gymnasien die Chance haben an einem solchen Projekt teilzunehmen, da es uns die Nostalgie, von der viele Bürger der ehemaligen DDR schwärmen, unerklärlich macht“, meinten die Teilnehmer Dorothée Henschel, Anna-Maria Glaab, Mirjam Tietz, Ornella Linke, Annett Kubitz, Carola Jorsch, Juliane Zschorlich, Lisa Herrmann, Martin Münzberg, Thomas Robel, Tobias Schindler, Robert Graf, Paul Münch, Marvin Kosel, Benjamin Bensch, Felix Schulz, Csaba Tibor Hertwig. Betreut wurde dieses Projekt vom ihrem Geschichtslehrer, Herrn Matthias Oswald.
Ein weiterer Höhepunkt des Projektes war das Zeitzeugengespräch mit dem Pfarrerehepaar Linke am 17. Juni 2005 im Johanneum. Hierbei erfuhren die Schüler aus berufenem Munde, was es in der damaligen Zeit hieß, Pfarrer zu sein und mit welchen Methoden die Staatssicherheit die Bürger ausspionierte. Das Entsetzen war den Schülern ins Gesicht geschrieben. „Solche Methoden hätte, glaube ich, keiner erwartet“, so Münzberg, welcher auch selbst mehr als erschrocken war. Obwohl er sich in der Vergangenheit viel mit der DDR- Geschichte beschäftigt hatte, es war doch etwas anderes, diese Mechanismen der Unterdrückung von Betroffenen verdeutlicht zu bekommen.
Benjamin Seidemann/Matthias Oswald